Wie werden Lohnuntergrenzen in schwedischen Tarifverträgen festgelegt?
Text: Ministerium für Arbeit, Schwedische Regierungskanzlei1
In der Praxis wirken sich die in Tarifverträgen festgelegten Mindestlöhne offenbar auf die niedrigsten Lohngruppen aller Beschäftigten aus, und zwar auch auf diejenigen, deren Arbeitgeber nicht an Tarifverträge gebunden sind. In Bereichen, für die keine Mindestlöhne in Tarifverträgen verankert sind, finden sich nur sehr wenige Mitarbeiter*innen mit niedrigem Lohn.
In Schweden sind die Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen für rund 90 Prozent aller Arbeitnehmer*innen in Tarifverträgen festgelegt. Diese enthalten unter anderem auch Regelungen für die niedrigsten Lohngruppen, vorrangig für Beschäftigte in Industrie und Handwerksberufen. Tarifverträge berücksichtigen allerdings häufig nicht die künftigen Mitarbeiter*innen. Anders als in vielen anderen Ländern, die über gesetzliche Mindestlöhne verfügen, wird der Lohn in Schweden zumeist bei der Einstellung individuell ausgehandelt, bisweilen auf Basis der im Tarifvertrag festgelegten niedrigsten Lohngruppen.
Weniger als 250 der rund 680 in Schweden geltenden Lohntarifverträge enthalten Angaben zu den niedrigsten Lohngruppen. Mindestlöhne oder Tariflöhne sind vornehmlich in Tarifverträgen der Mitgliedsverbände des schwedischen Gewerkschaftsbundes (LO) vorgegeben, die Beschäftigte aus Industrie und Handwerk sowohl im privaten als auch im öffentlichen Sektor vertreten. Zudem auch in Tarifverträgen einiger Gewerkschaften, die dem Dachverband der schwedischen Angestellten (TCO) angehören, wie etwa Unionen, die größte Angestelltengewerkschaft in der Privatwirtschaft. Die Gewerkschaftsverbändeentscheiden darüber, für welche Branchen die Einrichtung von Mindestlöhnen erforderlich ist. Das folgende Schaubild zeigt die Ergebnisse einer Stichprobe für Mindestlöhne auf verschiedenen Lohnniveaus. (Abbildung 1)
Die Tarifverträge des Zentralverbands schwedischer Akademiker (Saco), der Beschäftigte im privaten und im öffentlichen Sektor mit Hochschulabschluss repräsentiert, spezifiziert in der Regel keine Mindestlöhne. Dasselbe trifft auf einige der TCO-Mitgliedsgewerkschaften für Beschäftigte im öffentlichen Dienst zu. Diese Gewerkschaften empfehlen ihren Mitgliedern jedoch einseitig bestimmte Einstiegsgehälter. Es gibt somit keinen Mindestlohn, an den sich Arbeitgeber bei Personen halten müssen, die Arbeitsplätze innehaben, für die keine Tarifverträge existieren oder in denen der entsprechende Tarifvertrag keinen Mindestlohn vorgibt.
Wonach bemisst sich die Höhe der Mindestlöhne in Tarifverträgen?
Die in Tarifverträgen festgelegten Mindestlöhne zeigen die Lohnuntergrenzen an, die ein an einen bestimmten Tarifvertrag gebundenes Unternehmen bei der Einstellung von Mitarbeiter*innen einhalten muss. Mit zunehmendem Alter, zunehmender Erfahrung und steigenden Fachkenntnissen nimmt der Verdienst der Beschäftigten zu, selbst wenn sie zu Beginn ihrer Anstellung den Mindestlohn erhalten haben.
Die Art und Weise, wie die Sozialpartner in verschiedenen Tarifverträgen das Mindestlohnsystem ausgestalten, ist uneinheitlich. Es ist möglich, dass ein und dieselbe Gewerkschaft mit zwei verschiedenen Arbeitgeberverbänden Übereinkünfte trifft; dabei kann der Mindestlohn in einem der beiden Tarifverträge signifikant höher sein.
Das Arbeitsentgelt kann den vereinbarten Mindestlohn unterschreiten
In einigen Fällen haben die Sozialpartner für Beschäftigungsformen, die auch Ausbildungskomponenten enthalten, Tarifverträge abgeschlossen, die es erlauben, für kurze Zeit – normalerweise weniger als ein Jahr – Arbeitsentgelt unter dem im Tarifvertrag festgesetzten Mindestlohn zu zahlen. Dabei handelt es sich hauptsächlich um Vereinbarungen zu arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen für arbeitsmarktfernere Personen oder für jüngere Menschen, denen es an einschlägiger Berufserfahrung oder beruflichen Kenntnissen fehlt. In der Regel sind davon befristete Arbeitsverträge betroffen, bei denen der Verdienst 75 Prozent des im Tarifvertrag vorgegebenen Mindestlohns nicht unterschreiten darf. Einige Tarifverträge legen auch –häufig sehr niedrige – Mindestlöhne für 16- bis 17-Jährige fest, bei denen es überwiegend um Teilzeitarbeit oder Ferienjobs geht.
Anhebung der Mindestlöhne
Wie die Mindestlöhne im Zeitverlauf angepasst werden, ist in Lohntarifverträgen geregelt, wobei keine direkte Verbindung zwischen dem angegebenen Richtwert (d. h. der normativen Höhe der in den Tarifverträgen genannten Kostensteigerungen) und der Anhebung der Mindestlöhne existiert. Es ist vielmehr Aufgabe der Sozialpartner, zu entscheiden, wie die Anpassung der Mindestlöhne im Rahmen der Erhöhung der in diesen Tarifverträgen aufgeführten Arbeitskosten insgesamt gestaltet werden soll. Fast jeder Tarifvertrag, in dem Mindestlöhne vorgegeben sind, enthält auch Abmachungen zu der jährlichen Anhebung.2
Löhne unterhalb von 60 Prozent des nationalen Medianlohns sind selten
Im internationalen Vergleich weist Schweden nur eine geringe Lohnspreizung auf. Obwohl kein gesetzlicher Mindestlohn existiert, gibt es einen eher kleinen Niedriglohnsektor. Der etablierte Schwellenwert für niedrige Löhne liegt bei 60 Prozent des Medianlohns. Nach dieser Berechnung würde in Schweden bei einem Medianlohn von 29.500 SEK monatlich (Grundgehalt in Vollzeitäquivalenten) in 2018 die Niedriglohnschwelle bei 17.700 SEK liegen. Derart geringe Löhne sind in Schweden ungewöhnlich. Nur 0,9 Prozent aller Beschäftigten verdienten 2018 weniger als 60 Prozent des Medianlohns. Löhne unter 50 Prozent des Medianlohns (d. h. Grundgehälter von 14.750 SEK in Vollzeitäquivalenten) sind extrem selten. Der amtlichen Lohnstatistik zufolge hatten nur knapp 0,1 Prozent aller Beschäftigten derart niedrige Löhne.3
Die meisten Beschäftigten mit niedrigem Lohn sind jung oder arbeiten nur wenig
Unter den 0,9 Prozent aller Beschäftigten, die weniger als 17.700 SEK verdienten, waren 0,6 Prozent entweder jünger als 20 Jahre, arbeiteten weniger als 40 Prozent der üblichen Vollzeitstunden oder erhielten variable Lohnzuschläge, die ihr Gesamteinkommen auf über 60 Prozent des Medianlohns ansteigen ließen. Es gibt drei Berufsgruppen, in denen Beschäftigte mit einem Lohn von weniger als 60 Prozent des nationalen Medianlohns überrepräsentiert sind – Restaurantangestellte, Reinigungskräfte und im Kundendienst Tätige. Auf 0,3 Prozent aller Beschäftigten in Schweden traf keines der oben genannten Kriterien zu. Anders ausgedrückt: 0,3 Prozent aller Arbeitskräfte gehörten dem Niedriglohnsektor an, ohne jünger als 20 Jahre zu sein, wenige Stunden zu arbeiten oder signifikante Zuschläge aufgrund variabler Löhne zu erhalten.
Die niedrigsten Löhne liegen auf Höhe der vereinbarten Mindestlöhne
Um die Auswirkungen der in Tarifverträgen festgelegten Mindestlöhne zu bewerten, wurden sie einer Aufschlüsselung der tatsächlichen Löhne in den unter den Tarifvertrag fallenden Berufsgruppen gegenübergestellt.4 Erwartungsgemäß beeinflussen die tarifvertraglich vereinbarten Mindestlöhne insbesondere Bereiche mit hoher Mitarbeiterfluktuation und vielen jüngeren Beschäftigten sowie Berufe, für die keine lange formale Ausbildung notwendig ist. Dies gilt etwa für Tätigkeiten im Einzelhandel, im Gaststättengewerbe sowie im Kundendienst und im privaten Reinigungssektor, wo es klar abgegrenzte Arbeitnehmergruppen gibt, die über einen Basislohn verfügen, der knapp unter- oder oberhalb des ausgehandelten Mindestlohns entsprechender, durch Tarifverträge abgedeckter Gruppen liegt.

In Schweden verdienen nur sehr wenige Beschäftigte weniger als 60 Prozent des Medianlohns. Foto: luckyraccoon/Shutterstock.com
Es gibt jedoch auch Fälle von Beschäftigten, die nicht den Mindestlohn erreichen. Mögliche Gründe hierfür sind, dass bestimmte Personen in Wahrheit einem anderen Tarifvertrag unterliegen als dem, der für die Analyse herangezogen wurde, dass einzelne Beschäftigte nicht der richtigen Berufsgruppe zugeordnet wurden oder dass ihr Tarifvertrag keine Berücksichtigung fand. Generell ist jedoch zu sagen, dass es in den verschiedenen Berufsgruppen nur wenige Personen gibt, deren Lohn unterhalb der tariflich vereinbarten Mindestlöhne liegt.